Mittwoch, 23. Juni 2010

Politik 2.0: Zwischen Aktivismus und Deliberation

"Politik 2.0", das ist mehr als die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Es ist das Versprechen, Politik durch bürgerliches Engagement zu gestalten, sie durch Partizipation und Kollaboration zu verbessern. "Politik 2.0", das ist ein Symbol für unser Hoffen auf einen neuen, kräftigen Impuls für unsere erlahmende Demokratie.

"Politik 2.0" steht für die Verbindung von Politik und Web 2.0; der Begriff impliziert eine neuartige Synergie von Politik, Technik und sozialer Bewegung, mithilfe derer es möglich ist, Politik anders zu denken, ja, neu zu denken - von Politik 1.0 zu Politik 2.0.

Dabei lässt sich die mediale und akademische Beschäftigung mit dem Thema Politik 2.0 leicht in zwei Bereiche gliedern, die ich der tatsächlichen Entwicklung im Falle von Barack Obama entlehne: Zum einen wird Politik 2.0 in Verbindung mit Wahlkampf (MyBO), Protestbewegungen (Iran, Moldavien) und anderem außerparlamentarischem Engagement gebracht; zum anderen gilt es Demokratieforschern als Möglichkeit, das Regieren durch neue Formen der Deliberation zu verbessern (OpenGovernment Initiative).

Wir können Politik 2.0 also als Überbegriff für "Aktivismus 2.0" und "Deliberation 2.0" verstehen. Diese Gliederung ist, wie gesagt, sowohl analytischer als auch historischer Natur; der anfängliche "Hype" rund um den Wahlkampf Obamas und der Politik 2.0 hat sich gelegt, die Debatten sind nun seriöser Natur, man bemüht sich um Wissenschaftlichkeit - rationale Deliberation ersetzt Aktivismus, Deliberation 2.0 ersetzt Aktivismus 2.0.

Das bedeutet natürlich nicht, dass dem Aktivismus 2.0 nun keine Aufmerksamkeit gewidmet würde - im Gegenteil. Nur scheint es allerdings so, dass, je nach Temperament und Überzeugung, man sich entweder dem einen oder dem anderen widmet; Politik 2.0 zerfällt in zwei Lager, wird eigentlich "Politik 2".

Wohingegen die "Aktivisten 2.0", auf der einen Seite, eine liberale Wertvorstellung von Spontanität, Kreativität und rhetorischer Beeinflussung teilen, sind die "Deliberatisten 2.0" sozialdemokratischer Natur; sie glauben an Gleichheit, die Macht des besseren Arguments und Regeln, die dies alles garantieren.

So wird innerhalb von Politik 2.0 der alte Streit über die Bedeutung von "Öffentlichkeit" reproduziert: Auf der einen Seite die Libertarianer, die die Öffentlichkeit als Zone des anarchistischen Marktes feiern; auf der anderen Seiten die Sozialdemokraten habermascher Prägung, die die Öffentlichkeit als Deliberationsforum verstehen. "Agora", das war schon immer beides: Marktplatz und Forum.

Nun gibt es keinen Grund, warum diese beide Komponenten, also Aktivismus 2.0 und Deliberation 2.0, nicht komplementär zueinander stehen könnten; beide sind Teil des politischen Prozesses. Leider ist es aber in der Realität oft so, dass, wie eben dargestellt, beide voneinander getrennt gedacht werden. Damit geht aber eigentlich das Besondere des Web 2.0 verloren, was man auch als "Silicon-Valley-Synthese" bezeichnen könnte: die Verbindung von Kreativität und Egalitarismus, von Anarchie und Rationalität. Eine Trennung dieser Elemente bedeutet also letztendlich, der Politik 2.0 ihr eigenes Fundament zu entziehen, ihren Impuls und innewohnende politische Kraft zu rauben.

Weiterhin führt diese Trennung zu einer Delegitimierung beider; die Aktivisten benötigen ein deliberatives Forum, um ihre Anliegen auf ein für die Politik akzeptables Format zu transponieren; die Deliberativisten brauchen Aktivismus, um auch Unterstützung von außerhalb zu gewinnen.

Es ist also, so meine ich, zwingend notwendig, die beiden Phänomene nicht getrennt von einander zu studieren; oder, wenn dies schon nicht möglich ist, so doch zumindest über eine wirkungsvolle Integration nachzudenken. Denn nur so kann Politik 2.0 die vielen Hoffnungen, die auf ihr ruhen, möglicherweise erfüllen.

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