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Mittwoch, 21. Dezember 2016

Debattenkultur im Netz - Öffentlichkeit unter den Bedingungen des Web 2.0 und die Folgen für die und Möglichkeiten der (Politik- und Ethik-)Didaktik

Hatte Jürgen Habermas in seiner Habilitationsschrift Strukturwandel der Öffentlichkeit noch beklagt, dass wirtschaftlich bedingte Kapital- und Machtkonzentrationen die Idee der bürgerlichen Öffentlichkeit zerstörten, da sie die Möglichkeit eines diskursiven Austauschs zwischen Gleichen unterliefen und den Weg für vermehrte einseitige Kommunikation freigaben (vgl. Habermas 1990, 228ff.), so kann man sagen, dass heute – im Zuge der Digitalisierung – die Voraussetzungen dafür gegeben wären, auch ohne riesige Kapitalmengen mit Publikationen viele Rezipient_Innen zu erreichen. Dies könnte die wirtschaftlich bedingten Ungleichheiten wieder ausgleichen und die one- oder a-few-to-many- zu einer many-to-many-Kommunikation verändern.

Diese Idee, Medien zu nutzen, um der breiten Masse wieder den Zugang zur Öffentlichkeit zu ermöglichen, ist nicht neu. Bereits Berthold Brecht formulierte in einer seiner theoretischen Schriften – Der Rundfunk als Kommunikationsapparat. Rede über die Funktion des Rundfunks (1932/2008) – dass „[d]er Rundfunk […] aus einem Distributionsapparat in einen Kommunikationsapparat zu verwandeln [ist]“ (Brecht 1932/2008, 260). So könnte man „die Entscheidungen und Produktionen des Publikums in die Öffentlichkeit leiten“ (ebd., 263), um deren Meinung(en) so dem öffentlichen Diskurs zuzuführen. Ganz so, wie Brecht sich dies dachte, ist es nicht eingetreten. Dies sah er aber auch selbst, wenn er seine Idee als „utopisch“ (ebd.) klassifizierte.

Hans Magnus Enzensberger (1970/2008) hatte gut 40 Jahre später eine ähnliche Idee. Er postulierte, dass die elektronischen Medien, die die Kritische Theorie noch als ein Hauptorgan der „Bewußtseins-Industrie“ (Enzensberger 1970/2008, 266) brandmarkten, eben nicht nur dazu genutzt werden könnten, bestehende gesellschaftliche Verhältnisse zu erhärten. Vielmehr waren die – damals – neuen Medien „ihrer Struktur nach egalitär. Durch einen einfachen Schaltvorgang kann jeder an ihnen teilnehmen; die Programme sind immateriell und beliebig reproduzierbar“ (ebd., 272). Das heißt, sie konnten theoretisch genutzt werden, um auch ökonomisch schwächeren Personengruppen eine Stimme zu verleihen – einfach, weil man mit relativ kleinem Kapitaleinsatz hohe Reichweiten erzielen und Einfluss üben konnte.

Heute, unter den Bedingungen des Web 2.0, also der Möglichkeit, in einem digitalen Raum in Sekundenschnelle Texte, Videos, Bilder und andere Medieninhalte kostengünstig bis kostenlos zu verbreiten, scheint die Idee der sich selbst wieder in die Öffentlichkeit einbringenden Gesellschaftsmitglieder greifbarer als je zuvor. Denn nie zuvor war es so einfach, günstig und gleichzeitig effektiv, selbsterstelle Inhalte herzustellen und zu teilen, aber auch die erstellten Inhalte anderer zu erhalten. Nie zuvor verschwammen und verschwanden die Grenzen zwischen Produzenten und Konsumenten, wie unter den Bedingungen des Web 2.0. Axel Bruns nutzt dafür, für die Hybridisierung des Produzenten und Nutzers, den Begriff des Produtzers oder Produsers (vgl. Bruns 2009, 1).

Mit dieser mittlerweile fast jedem gegebenen Möglichkeit, mit einem Mausklick Öffentlichkeit zu schaffen bzw. sich an (quasi-)öffentlichen Diskussionen und Aushandlungsprozessen zu beteiligen, wären also alle Voraussetzungen geschaffen, um die demokratische Öffentlichkeit so zu verbessern, wie Habermas sie sich idealerweise vorgestellt hat: als „Ort politischer Diskussionen und Willensbildung“ (Brunkhorst 2006, 124), in dem möglichst keine „Hegemoniebildung“ (ebd.) gegeben ist. Denn jeder kann sich überall informieren, fast überall kritisieren und selbst Inhalte verfassen – und dies auch noch kostenlos und schnell.

Doch die Realität sieht anders aus. Schaut man sich Diskussionen im Netz an – sei es in Foren, in der Kommentarsektion, in Chats oder anderen Formen medialer Kommunikation – merkt man schnell, dass politische Ideologisierungen und sozialpsychologische Phänomene selbige überformen. Allzu schnell werden politische Kampfbegriffe, die sachliche Diskussionen erschweren, ausgetauscht und ein Rückzug in meinungskonforme Bereiche angetreten, um sich dort im wohligen Gefühl der kognitiven Resonanz zu wiegen. Diese Prozesse führen die Möglichkeiten, die die digitalen Medien bereiten, um den öffentlich-demokratischen Prozess zu verbessern, ad absurdum, da sie statt einem öffentlichem Austausch zum Ziele des Findens des personenirrelevanten Wahren und Richtigen dazu führen, dass Personen ihre Welt- und Selbstsicht verabsolutieren und – durch selektive Medienauswahl – in ihrer Verabsolutierungstendenz noch bestärkt werden.

Um dennoch einen freien demokratischen Willensbildungs- und reflektierten Entscheidungsfindungsprozess zu ermöglichen und da eine Gesellschaft auch immer darauf bedacht sein muss, sich selbst zu reproduzieren, ist zu fragen, ob und wenn ja, was gegen diese Entwicklung unternommen werden kann. Denn wenn es der Kern eines demokratischen Systems ist, eine funktionierende – und das heißt diskursfähige – Öffentlichkeit zu haben, so ist zu fragen, wie diese (wieder) hervorgebracht bzw. sichergestellt werden kann, damit sie weiter als demokratische Gesellschaft besteht – vor allem auch unter den Bedingungen des Web 2.0.

Eine der wichtigsten Möglichkeiten, gesellschaftliche Verhältnisse zu reproduzieren, stellt dabei die Erziehung dar (vgl. Gudjons 2012, 205). Denn dort bekommen die Individuen durch Interaktion mit und in Institutionen die Werte und Normen der jeweiligen Gesellschaft bis zu einem gewissen Grade introjiziert mit dem Ziel, dass sie sie internalisieren (vgl. ebd.).

Da Schule wie die Gesellschaft auch funktionell differenziert ist, kommen verschiedenen Fächern dabei verschiedene Erziehungsziele zu. Der Politikunterricht oder wie seine Pendants in den jeweiligen Bundesländern auch heißen mögen, ist dabei dafür da, die Schülerinnen und Schülern für das politische System der Bundesrepublik Deutschland bereit zu machen. Dazu gehört auch, dass sie Diskussionen führen können und an öffentlichen Diskursen teilnehmen können. Kurzum: sie sollen durch den Unterricht befähigt werden, verschiedenste Bereiche des politischen Lebens begreifen, reflektieren und weiterdenken zu können. Dies soll sie in den jeweiligen Handlungsbereichen handlungsfähig machen.

Andere Fächer, wie Ethik oder wie dessen Pendants in den einzelnen Bundesländern auch immer heißen mögen (vgl. Thyen 2015), haben ebenfalls das Ziel, die Schülerinnen und Schüler reflexions- und vor allem diskursfähig zu machen. Beide sollen also unter anderem dazu beitragen, Schülerinnen und Schüler dazu zu befähigen, öffentliche Diskurse führen zu können.

Mit Hinblick auf die aktuelle mediale Situation muss man deshalb fragen, was (Politik- oder Ethik-)Unterricht leisten kann, um Schülerinnen und Schüler dazu zu befähigen, das Medienmögliche – zumindest in politischer Sicht – reflektiert zu nutzen. Gibt es didaktische Vorschläge, wie man bei Schülerinnen und Schülern die Kompetenzen stärkt bzw. stärken kann, die für das Teilnehmen an demokratischen öffentlichen Diskursen notwendig sind?

In der geplanten Arbeit soll eine Antwort auf die letztgestellten Fragen gesucht werden. Dafür soll zunächst in einem ersten Teil eine kurze Abhandlung über den Begriff der Öffentlichkeit und seine demokratietheoretische Bedeutung vorangestellt werden. Dann soll versucht werden, die aktuelle Entwicklung der Debattenkultur im Netz darzustellen – vor allem in sozialen Netzwerken. Das dort beobachtbare Verhalten soll vor allem mit sozialpsychologischen Modellen erfasst und erklärt werden. Denn sozialpsychologische Phänomene sind nicht nur im Hinblick auf ihre Entstehung gut erforscht, sondern vor allem auch im Hinblick auf die Möglichkeiten, die es gibt, ihnen zu entgegnen.

Dies hängt zusammen mit dem dritten Schritt, in dem es um die Frage geht, wie man aus Sicht der (Politik- und Ethik-)Didaktik und des durch sie angeleiteten (Politik- und Ethik-)Unterrichts dazu beitragen kann, Schülerinnen und Schüler in ihren Kompetenzen zu schulen, die notwendig sind, um am öffentlichen Meinungsbildungsprozess im Internet konstruktiv mitzuwirken. Alles mit dem langfristigen Ziel, die Debattenkultur im Netz insgesamt zu verbessern oder zumindest einen Teil zur Verbesserung beizutragen.

Oder um es realistischer und demütiger auszudrücken: Es soll untersucht werden, inwiefern (Politik- und Ethik-)Unterricht etwas dazu beitragen kann, Schülerinnen und Schüler dazu zu befähigen, am digitalen Diskurs konstruktiv teilzunehmen - mit der Hoffnung, dass bei einer flächendeckenden Umsetzung der vorgestellten Ideen der digitale Diskurs und die digitale Öffentlichkeit davon profitieren würden.
Literatur
Brecht, Berthold (1932/2008): Der Rundfunk als Kommunikationsapparat. Rede über die Funktion des Rundfunks. In: Claus Pias et al. (Hrsg.): Kursbuch Medienkultur. Die maßgebenden Theorien von Brecht bis Baudrillard. München: Deutsche Verlags-Anstalt. 6. Auflage. S. 259 - 263.
Brunkhorst, Hauke (2006): Habermas. Stuttgart: Reclam.
Bruns, Axel (2009): Vom Prosumenten zum Produtzer. In: Blättel-Mink, Birgit / Hellmann, Kai-Uwe (Hrsg.): Prosumer Revisited: Zur Aktualität einer Debatte. Wiesbaden. S. 191–205. Online-Quelle: http://snurb.info/files/Vom%20Prosumenten%20zum%20Produtzer%20(final).pdf (Stand: 21.12.2016).
Enzensberger, Hans Magnus (1970/2008): Baukasten zu einer Theorie der Medien. In: Claus Pias et al. (Hrsg.): Kursbuch Medienkultur. Die maßgebenden Theorien von Brecht bis Baudrillard. München: Deutsche Verlags-Anstalt. 6. Auflage. S. 264 - 278.
Gudjons, Herbert (2012): Pädagogisches Grundwissen: Überblick - Kompendium - Studienbuch. Stuttgart: UTB GmbH. 11. Auflage.
Habermas, Jürgen (1990): Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft. Frankfurt: Suhrkamp Verlag.
Thyen, Anke (2015): Ethikunterricht. In: WiReLex – Wissenschaftlich-Religionspädagogisches Lexikon im Internet. Hg. von Mirjam Zimmermann/Heike Lindner. 2015 Online-Quelle: https://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/100092/ (Stand: 21.12.2016).

Montag, 5. Dezember 2016

Debatte über Social Bots und Fake News

Das Brexit-Referendum und der Wahlkampf Donald Trumps haben auf Phänomene wie Social Bots und Fake News aufmerksam gemacht. Zwischenzeitlich sind einige Beiträge erschienen, die Orientierungswissen in dieser Debatte bieten. Eine Auswahl:
  • Simon Hegelich: Invasion der Meinungs-Roboter, Konrad-Adenauer-Stiftung: Analysen & Argumente, Ausgabe 221, September 2016 (Link, pdf)
  • Adrian Lobe: Gefährden Meinungsroboter die Demokratie?, Spektrum (Link)
  • Sascha Lobo: Wie soziale Medien Wahlen beeinflussen, Spiegel Online (Link)
  • Markus Reuter: Fake-News, Bots und Sockenpuppen - eine Begriffsklärung, Netzpolitik.org (Link
  • Gregor Weichbrodt: Bots unter Generalverdacht, Krautreporter (Link)

Sonntag, 23. Oktober 2016

Internet und Demokratie - Digital-Debatte in der FAZ

Vor zwei Wochen hat die FAZ eine neue Serie zum Thema "Internet und Demokratie" begonnen, deren zweiter Beitrag gestern veröffentlicht wurde. Worum es in der Serie gehen soll, beschreibt Thomas Thiel im Einleitungbeitrag so:
"Das Internet wurde als demokratischer Heilsbringer gefeiert. Heute gilt es als Vehikel von Populismus, Autoritarismus und Gleichgültigkeit. Lässt es sich zur Vernunft bringen?"
Die beiden bisherigen Debattenbeiträge sind:

Sonntag, 17. Juli 2016

Digital-Debatte in der Zeit

Seit Ende 2015 sind in der Zeit einige lesenswerte Gastbeiträge erschienen, die aufeinander reagieren und eine interessante Debatte bilden:

Samstag, 19. Juli 2014

Aktuelle Debatten: Google-Urteil und Facebook-Experiment

Gegenwärtig beherrschen zwei Debatten die Schlagzeilen rund um das Web (2.0). Beide sind von grundsätzlicher Bedeutung für die netzpolitische Diskussion. Zum einen geht es um das Urteil des Gerichtshofs der EU zu Google und dem "Recht auf Vergessen". Die andere Debatte betrifft Facebook und das Experiment, das dort mit (unwissenden) Nutzern durchgeführt wurde. Zu beiden Debatten habe ich im Blog, der meine Lehrveranstaltungen an der PH Ludwigsburg begleitet, Listen mit wichtigen Quellen und ersten Einschätzungen veröffentlicht:

Dienstag, 24. Juni 2014

Außenpolitik 2.0

Das Thema Außenpolitik nimmt einen wachsenden Raum in den öffentlichen Diskussionen ein. Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat kürzlich eine öffentliche Plattform für diese Debatten eröffnet: "Review 2014 - Außenpolitik Weiter Denken" - www.review2014.de.

"Außenpolitik geht uns alle an", so der Außenminister in seinem Grußwort, "dann sollten wir auch gemeinsam die Außenpolitik angehen." Nachdrücklich lädt er jeden Einzelnen zur vielfältigen Beteiligung am öffentlichen Meinungsaustausch auf der Website, über Twitter (#review2014) oder auf Veranstaltungen ein. "Wir möchten wissen, was Sie von der deutschen Außenpolitik erwarten", so sein Apell, denn "gemeinsam können wir Außenpolitik weiter denken."



Außerdem wurde ein animierter Trailer erstellt. Er verdeutlicht die Hintergründe und Ziele von "Review 2014" und zeigt, über welche Kanäle man sich an den außenpolitischen Debatten beteiligen kann.

Sonntag, 24. März 2013

Unversöhnliche Debatten rund um das Internet

Es wäre so wichtig, fruchtbare Debatten rund um Internet und Digitalisierung zu führen, aber irgendwie gelingt es nicht. Dass das nicht unbedingt daran liegen muss, dass die (jeweilige) Gegenseite keine Ahnung hat, versucht das sehr gelungene neue Buch von Kathrin Passig und Sascha Lobo aufzuzeigen:


Dieses Buch hätten wahrscheinlich alle gerne geschrieben, die wie der Autor dieser Zeilen einen Gutteil ihrer Arbeitszeit mit dem Versuch verbringen, anderen die praktischen Vorzüge von Digitalisierung und Internet näherzubringen, oder in Vorträgen und Seminaren über die Folgen des Web (2.0) räsonieren. Denn sie alle kennen die unfruchtbaren Konfrontationen über Facebook, Wikipedia und all die anderen Dienste. Und sie alle wissen, dass es auf Dauer nicht weiterhilft, wenn man insgeheim denkt, dass auf der (jeweiligen) Gegenseite Hopfen und Malz verloren sei.

Ziel des Buches ist es, die Debatten zwischen Optimisten und Skeptikern zu verbessern:
"Dieses Buch soll beiden vermitteln, dass die andere Seite Gründe für ihre Haltung hat und nicht aus unbegreiflich vernagelten Personen besteht. Oder jedenfalls nicht nur" (S. 9).
Dabei werden auf unterhaltsame und geistreiche Weise die wichtigsten Fragen rund um Internet, digitaler Gesellschaft und Netzpolitik behandelt, etwa Disruption, Beschleunigung, Informationsüberflutung, Kollaboration, Regulierung, Datenschutz oder Urheberrecht.

Fazit: unbedingt lesen, egal ob Einsteigerin oder Fortgeschrittener in den Debatten um Digitalisierung!