Sonntag, 16. Juli 2017

Beeinflussung der Meinungsbildung, Fake News, Social Bots: WER gefährdet die Demokratie?

Fake News sind so alt wie die Medien selbst. Die Veränderung der Medienlandschaft und die große Beliebtheit sozialer Netzwerke erlauben heute jedoch neue Methoden der gezielten Manipulation von Nachrichten und Meinungen. Das Online-Profiling ist heute, dank der technischen Entwicklungen, so effizient und beliebt wie nie - Personalisierte Werbung wird zu politischem Direktmarketing.

Die journalistischen Medien, die in einer Demokratie die Aufgabe haben, objektive Information für die Bürgerinnen und Bürger zur Verfügung zu stellen, werden von den neuen Medien und zahllosen neuen Akteuren zur Seite gedrängt. Deren Qualität und Verbreitung ist jedoch nicht an Standards gebunden – meist zählen nur die Reichweite und das gewählte Agenda-Setting.

Mit einem Blick auf das Buch „Der (des)informierte Bürger im Netz“ von Wolfgang Schweiger und weiteren Beobachtungen aus Forschung und Wissenschaft soll ein Nachdenken über die Frage, ob Fake-News, Social Bots & Co eine Gefahr für die Meinungsbildung der Bürgerinnen und Bürger sind, angeregt werden. Außerdem soll anhand von zwei aktuellen Beispielen gezeigt werden, welche Organisationen die kritisierten Methoden wie Social Bots oder die gezielte Manipulation journalistischer Medien anwenden.



Die Medien und der Journalismus werden als vierte Gewalt im Staat bezeichnet. Diese vierte Gewalt ist für eine Demokratie notwendig, um die Informiertheit der Bürgerinnen und Bürger und damit ihre Möglichkeit zur Meinungsbildung sicherzustellen. Hierfür bestehen bestimmte Anforderungen, sowohl an den Journalismus als auch an die Bürgerinnen und Bürger. Letztere sollen die demokratischen Prinzipien verstehen und die politische Situation sowie gesellschaftliche Problemstellungen erfassen und bewerten können.

Die Grundlage hierfür soll auch durch die (Schul-)Bildung gelegt werden. Aufgrund der durch die Medien zur Verfügung gestellten Informationen soll es ihnen dann ermöglicht werden, sich eine Meinung zu bilden und sich mit eigenen Lösungsvorschlägen und Argumenten in den politischen Diskurs einzubringen. Der Journalismus hat dabei in der Demokratietheorie die Aufgabe, die Politik an die Bürgerinnen und Bürger zu vermitteln. Durch die Machtposition der Presse kann sie die Politik dazu bewegen, Informationen preiszugeben. Durch ein Agenda-Setting der Medien werden relevante Themen in den Fokus der Menschen gebracht. Die Zielsetzung ist eine komprimierte Darstellung aller relevanten politischen und gesellschaftlichen Tagesgeschehnisse.

Für die Auswahl und Präsentation der verschiedenen Themen gibt es zahlreiche Kriterien. Eines der unstrittigen Kriterien für die Relevanz ist hier die Aktualität der Themen – ansonsten können die Meinungen, was für den Einzelnen oder die Gesellschaft relevant ist, auseinandergehen. Die Bandbreite der Themen und Interessen wird jedoch durch das Vielfaltsgebot der Medien berücksichtigt. Mit zu den wichtigsten Kriterien des Journalismus zählen die journalistische Unabhängigkeit, die Transparenz der Quellen und die objektive Darstellung der Realität. Diese Aufgaben benennt auch die ARD ausdrücklich als Teil ihres verfassungsrechtlich wahrgenommenen Auftrags:
„Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist außerdem zur Ausgewogenheit verpflichtet. Dazu gehören das Gebot einer fairen und unabhängigen Berichterstattung und die Verpflichtung zur Überparteilichkeit. Die Abbildung verschiedener Meinungen im Programm soll insgesamt ausgewogen sein. Diese Vorgaben gelten in besonderem Maße für Nachrichten oder politische Sendungen.“
Insgesamt besteht also die Notwendigkeit für die Bürgerinnen und Bürger, sich durch ihre Schulbildung und die Informationen aus den Medien zu mündigen Bürgern zu entwickeln, die sich dann informiert und reflektiert in den gesellschaftlich-politischen Diskurs einbringen können.

Verschiedene Umstände führen seit Jahren dazu, dass sich die Medienlandschaft verändert und auch die Glaubwürdigkeit der journalistischen Arbeit sinkt. Gründe dafür sind zum einen der Kampf um die Reichweite der journalistischen Medien und die damit verbundenen Maßnahmen, um ein größeres Publikum zu erreichen, aber auch die Kosteneinsparungen der journalistischen Medien, zum Beispiel durch die Einsparung von Personal, spielen dabei eine große Rolle.

Die Möglichkeit zur Beschaffung von objektiven Informationen wird, besonders in den letzten Jahren, durch sogenannte „Fake-News“, zahlreiche neue Akteure wie Blogger und andere Arten der gezielten Manipulation von Nachrichten erschwert. Als ein weltweit beachtetes Beispiel war im US-Präsidentenwahlkampf unter anderem zu erkennen, wie von den politischen Lagern Social Bots eingesetzt wurden (Folie 3), um die eigenen Wähler zu mobilisieren und die Wähler der Gegenseite anzugreifen.

Insgesamt sollen auf Twitter 900.000 Bots den republikanischen Kandidaten und 400.000 Bots die demokratische Kandidatin im Wahlkampf unterstützt haben. Diese Zahlen waren das Resultat einer einfachen Analyse: Die Postings dieser Bots wurden stets zeitgleich abgesetzt.

Auch das sogenannte politische Direktmarketing soll mit zum Sieg des republikanischen Kandidaten Donald Trump beigetragen haben. Diese Art der Beeinflussung leitet sich aus den bereits bekannten Methoden zur Anpassung von Werbung an den einzelnen Menschen ab. Das Verhalten bei der Internetnutzung wird analysiert und ausgewertet. Daraus wird im Anschluss ein Persönlichkeitsprofil erstellt. Doch anstelle von Angeboten für bestimmte Produkte erhält man dann, per E-Mail oder Benachrichtigung auf Social-Media Plattformen, maßgeschneiderte Propaganda für die entsprechenden Parteien, passend zugeschnitten auf den eigenen politischen Standpunkt.

Kurz gesagt: Big Data-Analysen werden für personalisierte Wählerwerbung genutzt. Welche Probleme durch diese Technologien und Strategien für die Demokratien entstehen, zeichnet sich deutlich ab. Karsten Schramm, ein Gründer von GMX, sieht bei diesem Umgang mit den Nutzerdaten Gefahren für die Meinungsbildung und die Demokratie:
„Bislang war es so, dass wir ja das Prinzip der geheimen Wahlen hatten. Also, eigentlich wussten Politiker im Großen und Ganzen, welche Meinungen und Strömungen es im Volk gibt. Jetzt ist es so, dass man die Meinungen und die Interessen und auch politische Gesinnungen bis zum Individuum hinunter erfassen und bestimmen kann. Und das ist natürlich etwas, das widerstrebt eigentlich auch dem demokratischen Grundgedanken der freien Meinungsbildung. Man kann die Leute unmittelbar und direkt beeinflussen, und dann entsprechend auch eine Wahl beeinflussen.“ (Link: Deutschlandfunk: Social Bots: Wahlkampf der Algorithmen)
Mit Blick auf die Bundestagswahlen im September 2017 wird von der Bundesregierung nach Maßnahmen gesucht, um eine ähnliche Eskalation der digitalen Wählerbeeinflussung zu verhindern. Der Bundesinnenminister Thomas de Maizière fordert beispielsweise eine öffentliche Erklärung der einzelnen Parteien, in der sie sich von ähnlichen Aktionen distanzieren sollen. Doch wie dies kontrolliert werden soll, bleibt offen. Nach Informationen des Deutschlandfunks verwenden bereits Politiker aller Parteien in Deutschland Social Bots oder automatisierte Dienste in den gängigen Netzwerken, um die Reichweite ihrer Botschaften zu vergrößern.
„Doch Forschung aktuell-Reporter des Deutschlandfunks schauen sich daraufhin die Social Media-Aktivitäten deutscher Politiker und ihrer Parteien genauer an. Sie verwenden dafür die Analyseplattformen "Bot or Not", "Tweetstat" und andere Mustererkennungsprogramme: Das Ergebnis: Politiker aller Parteien nutzen schon heute Social Bots. Sie erstellen ihre Posts mit der Buffer-App und auf der Hootsuite-Plattform oder nutzen Twitterfeed, um aus ihren eigenen Blogeinträgen vollautomatisch Tweets erstellen zu lassen.“ (Link: Deutschlandfunk:Social Bots: Wahlkampf der Algorithmen)
Auch Wolfgang Schweiger sieht eine Gefahr für die objektive Meinungsbildung der Bürgerinnen und Bürger durch die Veränderung in den Medien und die Zustände in den sozialen Medien. Er formuliert in seinem Buch „Der (des-)informierte Bürger im Netz“ die These:
„Wir leben in einer Zeit des Aufstiegs sozialer Medien und des Bedeutungsverlusts journalistischer Nachrichten. Das schwächt die politische Informiertheit und die Diskursfähigkeit der Bevölkerung und verstärkt die Polarisierung der Gesellschaft.“
Als Gründe für den Bedeutungsverlust der journalistischen Arbeit nennt Schweiger den Kampf um die Nachrichtenreichweite bei gleichzeitiger Einsparung von Mitteln. Dies führte in der Folge zum Vorwurf der Boulevardisierung der journalistischen Medien, geäußert von Journalisten und in diesem Zusammenhang erstellten wissenschaftlichen Analysen über den Wahrheitsgehalt und die Präsentation von Nachrichten. Schweiger erläutert hierzu die Punkte, die eine Boulevardisierung ausmachen können:
  • Sensationalismus, Negativismus und Skandalisierung – Das Aufgreifen dramatischer Geschehnisse mit sehr begrenzter gesellschaftlicher Bedeutung
  • Personalisierung und Emotionalisierung – Fixierung auf Politiker und menschliche Aspekte, nicht auf politische Inhalte
  • Soft News und Politainment – Nachrichten, unterhaltsam bis satirisch: „Donald Trump bekommt zwei Kugeln Eis, alle anderen nur eine!“ 
  • Beschleunigung, Oberflächlichkeit, Häppchen-Journalismus und etwas, dass die meisten Leser überraschen wird – Als Folge von Sparmaßnahmen und der Beschleunigung der Nachrichtenproduktion sinkt die analytische Tiefe von Recherchen, auch werden Klicks beispielsweise durch Fotostrecken generiert.
Die Objektivität des Journalismus ist jedoch ein wichtiges Kriterium seiner Arbeit. Er hat des Weiteren die Aufgabe, den Leserinnen und Lesern die Geschehnisse der Politik zu erklären und sie in Zusammenhänge einzuordnen. Es stellt sich die Frage, ob Fake News eine Veränderung der Wahrnehmung bei den Lesern nach sich ziehen. Führen solche Artikel in die Radikalisierung oder zu Abstumpfung? Oder entwickelt sich die Medienkompetenz der Leser weiter und kann nach und nach unseriöse von seriösen Nachrichten besser unterscheiden? Hat der Staat auch Angst, die Deutungshoheit über aktuelle Geschehnisse zu verlieren? Gründe für eine Auseinandersetzung mit den Zuständen in den (sozialen) Medien gibt es zu Hauf.

Doch wie sehen Organisationen aus, die es darauf abgesehen haben, Wähler zu beeinflussen und dafür auch die kritisierten Methoden verwenden? Anhand von zwei Beispielen soll ein kleiner Einblick in die Abläufe, Strukturen und Zielsetzungen solcher Meinungsfabriken ermöglicht werden. Das erste Beispiel, ShareBlue, beschreibt den Einsatz verschiedener Methoden der Meinungsbeeinflussung im Internet und in den sozialen Netzwerken. Das zweite Beispiel, die PR-Agentur Burson–Marsteller, wird anhand ihrer Projekte für die teilweise umstrittene Kundschaft erläutert.

Beispiel 1: Correct the Record und ShareBlue

Beide Organisationen wurden von David Brock, einem Journalisten und politischen Aktivisten, gegründet. Diese political action comittees sammeln Spenden für Parteien, um sie für bestimmte Kampagnen zu bündeln. Während das im Mai 2015 gegründete Correct the Record zum Ziel hatte, Hillary Clinton während des Wahlkampfs mit positiven Nachrichten zu unterstützen und auf Angriffe auf ihre Person gezielt und schnell zu reagieren (der zugehörige Twitteraccount setzte am 18. November 2016 seinen letzten Tweet ab, die dazugehörige Webseite ist seit einiger Zeit auch offline), führt Shareblue (als Nachfolger von Blue Nation Review) seine Arbeit nach der Niederlage Clintons mit veränderter Zielführung weiter.

Organisation: Shareblue ist eine Limited Liability Company (LLC) und eine liberal news site. Beschäftigt werden nach eigenen Angaben 18 Mitarbeiter und für das Jahr 2017 besteht bisher ein Budget von zwei Millionen Dollar zur Verfügung. Insgesamt werden laut den Betreibern für das laufende Jahr 40 Millionen Dollar an Spenden erwartet. Da super PACs dazu verpflichtet sind, ihre Einnahmen und Ausgaben öffentlich zu machen, sind diese für Correct the Record auf der Federal Election Website einsehbar. Bei einem großen Teil der dort namentlich erwähnten und als „SALARY: NON-CONTRIBUTION ACCOUNT“ aufgeführten Beteiligten wird vermutet, dass sie Teilnehmer an den Online-Auseinandersetzungen mit den politischen Gegnern waren.

Zielsetzung: Als „Breitbart der Linken“ soll ShareBlue sein Agenda-Setting, die Demontage von Donald Trump und seiner Regierung, mit entsprechenden Nachrichten und weiteren Maßnahmen vorantreiben. In einem veröffentlichten, angeblich geheimen, Dokument werden die Ziele der Organisation formuliert.

Maßnahmen: Aus der gleichen Quelle gehen auch die Maßnahmen hervor, mit denen ein möglichst großes Publikum erreicht werden soll: Big Data-Analysen in sozialen Netzwerken, um die Informationen an die Zielgruppen anzupassen: Interessen sollen erkannt werden, um den Menschen mit personalisierten Mitteilungen zu zeigen: „Wir setzen uns für eure Interessen ein“, was wiederum bedeutet, dass die kritisierten Methoden des Wahlkampfes weiter verwendet werden, um neue, unentschlossene Menschen als Wähler zu akquirieren. Eingesetzt werden auch Twitter-Accounts, die der Konfrontation mit den Anhängern des politischen Gegners dienen. Zusätzlich wurden von Correct the Record Menschen bezahlt, um auf Webseiten mit großer Reichweite verdeckt aktiv zu werden und Gegner anzugreifen.

Beispiel 2: Burson-Marsteller

Die Public Relations-Agentur wurde in den 1950er Jahren in den USA gegründet und ist heute in 50 Ländern auf der ganzen Welt tätig. Kunden der Agentur sind weltweit agierende Unternehmen, Regierungen und in früheren Zeiten auch Diktatoren wie Pinochet oder Ceaușescu. Spezialisiert ist die Agentur unter anderem auch auf Krisenmanagement. In den letzten Jahren geriet Burson-Marsteller beispielwiese durch seine Arbeit für die Gülen-Bewegung, für den türkischen Ministerpräsidenten Erdogan, den Frankfurter Flughafen und Facebook in den Fokus der Medien.

Organisation: Burson-Marsteller bezeichnet sich selbst als eine Public Affairs and Communications Company und unterhält weltweit Filialen. 1979 wurde die Agentur von Young & Rubicam übernommen und im Jahr 2000 von der WPP Group, einem Medienunternehmen und Werbedienstleister, aufgekauft.

Zielsetzung: Ein Slogan der Agentur lautet “Get in touch to see how we can help you ‘make it happen’.” Häufig wird diese beauftragt, um in Krisen, beim Start neuer Marken oder fundamentalen Veränderungen in Unternehmen einen Kommunikationsansatz zu bieten, der den Zielen der Auftraggeber entspricht.

Maßnahmen: Der Einsatz bezahlter Demonstranten und vorgefertigter Plakate für Demonstrationen, um für Projekte, die in der Bevölkerung auf Ablehnung stoßen, positive Stimmung zu erzeugen. Im gleichen Zusammenhang verwendete die Agentur Astroturfing, um die Angestellten der beauftragten Unternehmen in Demonstrationen einzubinden. Die dadurch erreichte größere Zahl von Demonstranten soll die Wahrnehmung der künstlichen Initiativen in der Bevölkerung und in den Medien verbessern. Solche Maßnahmen verstoßen allerdings gegen Punkt 1 der sieben Selbstverpflichtungen der PR-Branche.

Burson-Marsteller: Einige Resultate ihrer Arbeit

Pinochet, chilenischer Diktator von 1973 bis 1990, der die PR-Agentur um 1980 mit 1,1 Millionen US-Dollar bezahlte, um "die Förderung von Vertrauen in und Wohlwollen gegenüber Land und Regierung voranzutreiben", tat dies, nachdem das Verschwinden und die Ermordung von 35000 Regimegegnern bekannt wurde. Es ist unklar, ob sich die Wahrnehmung der Diktatur dadurch im Ausland wirklich verbessert hat.

Ceauşescu, der kommunistische Führer Rumäniens, der in den Jahren von 1967 bis 1989 an der Macht war, beauftragte die Agentur in den 1970er Jahren, um die Handelssituation mit dem (westlichen) Ausland und den Tourismus des Landes voranzubringen. Rumänien war in der Folge eines der wenigen Länder des Warschauer Paktes, das dem Westen zugewandt war. Dies führte, neben den Ölvorkommen des Landes, zu einer Verbesserung der wirtschaftlichen Situation. Ceauşescus Absicht war es, Rumänien zu einer Weltmacht zu führen. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und des Warschauer Paktes wurde 1989 auch die kommunistische Partei in Rumänien durch eine Revolution entmachtet. Ceauşescu wurde von der rumänischen Übergangsregierung, unter anderem wegen Massenmord, zum Tode verurteilt und im Dezember 1989 hingerichtet.

Facebook: Kampagne gegen Google (2011):
„Facebook beauftragt eine Agentur, um kritische Medienberichte über Google zu lancieren. Die Undercover-Meinungsmache flog auf - für Facebook wird der Fall zum PR-Desaster. Anstößig, unehrlich, feige, peinlich: Die Urteile der Fachwelt sind eindeutig“. (Link: Spiegel.de)
Renommierte Gastautoren in bekannten Medien wie etwa der USA Today, Washington Post und Politico sollten Nachrichten in Umlauf bringen, die sich negativ über Googles Dienst Social Circle äußern. Die Begründungen, angebliche Verstöße gegen den Datenschutz, wurden direkt von Burson-Marsteller an die Autoren geliefert, allerdings ohne den Auftraggeber Facebook zu nennen. Da einige der angesprochenen Journalisten die Vorwürfe überprüften und diese sich im Verlauf als falsch herausstellten, wurde der Vorgang öffentlich. Der verdeckte Versuch von Facebook, Google von etablierten journalistischen Medien angreifen zu lassen, schlug damit fehl.

Großer Aufwand, großer Nutzen?

Es stellt sich die Frage, welchen Erfolg die angewandten Maßnahmen haben. Hat die gezielte Konfrontation von politischen Gegnern auf sozialen Netzwerken Einfluss auf die Äußerungen und Meinungen von Menschen? Zeigt die Veröffentlichung und Verbreitung von unausgewogenen Nachrichten durch Social Bots eine Wirkung auf die Meinungsbildung der Leser?

Wie in den Artikeln, die sich mit Correct the Record und ShareBlue auseinandersetzen, erkennbar ist, sind ihre Methoden, die Big Data-Analyse und ein anschließendes Anpassen der „Werbung“ an die Interessen einzelner, aus der Werbewirtschaft bekannt und nicht neu. Deren Einsatz im Wahlkampf wird jedoch von den journalistischen Medien und der Politik sehr kritisch betrachtet. Ob sie die gewünschte Wirkung zeigen ist, jedoch bisher nicht absehbar:
“A lot of digital campaign strategy is experimental and run for fear of losing,” Phil Howard, a professor at the Oxford Internet Institute said. “No one wants to be the team who lost because they didn’t try a particular strategy, but that alone is no guarantee any of it will work.”
Trotzdem wurden diese Strategien von beiden politischen Lagern großflächig in den sozialen Netzwerken an der politisch interessierten Bevölkerung getestet. In Deutschland wird von Politikern eine Distanzierung der Parteien vom Einsatz solcher Mittel im Wahlkampf gefordert.

Die von Burson-Marsteller versuchte Manipulation renommierter journalistischer Medien mit falschen Informationen ist sicherlich kein Einzelfall. Dass es im genannten Beispiel nicht im Sinne des Auftraggebers Facebook zur Verbreitung von Fake News kam, war der Recherchearbeit der Journalisten zu verdanken. Gerade diese gute journalistische Arbeit wird aber immer mehr eingespart.

Schweiger sieht daher den Teil seiner These bestätigt, in dem er die Frage stellt, ob der Wandel in den Medien einen Einfluss auf die Informiertheit und Diskursfähigkeit der Bevölkerung hat. Als Schlussfolgerung führt er aus, dass seiner Meinung nach ausschließlich journalistische Medien die Möglichkeit bieten, den politischen Diskurs in der Gesellschaft angemessen zu leiten, bemerkt dabei aber auch, dass diese auch nicht immer fehlerfrei arbeiten.

Genauso wie Fake News sind auch Filterblasen im Internet nicht neu. Das Phänomen der selective exposure, das Bevorzugen meinungskonformer Medien, wird seit vielen Jahren von der Forschung bestätigt. Sämtliche genannten Probleme sind also nicht neu, sondern lediglich eine Anpassung an die neuen, bisher kaum reglementierten technischen Möglichkeiten.

Weitere Kritik an den journalistischen Medien findet sich zum Beispiel auch an der Darstellung von Demonstrationen und Protesten allgemein. In einer Untersuchung von Medienberichten über Proteste durch das Institut für Protestforschung und Bewegung (IPB) zeigte sich, dass hier oft nur über den Protest selbst, aber nicht über die Protestmotive berichtet wird. Die Autoren der Untersuchung sehen hier den Versuch der Medien, durch die Wortwahl in den Artikeln vorwiegend konservativer und liberaler Medien Proteste und Demonstrationen zu entpolitisieren und als Normabweichung darzustellen. Als Beispiel für eine solche falsche Darstellung nennt der Artikel die Berichterstattung über die Räumung des Stadtteilladens F54 in Berlin-Neukölln.

Die Einflussnahme auf die Medien oder die einseitige Darstellung von Sachverhalten und die damit mögliche Manipulation der Meinungen ist nicht neu - früher wurden Fake News beispielsweise als yellow journalism bezeichnet. Was sich in den letzten Jahren verändert hat, sind die Methoden, die durch Entwicklungen in der Technik entstanden sind, Reichweite und die Geschwindigkeit der Verbreitung, unterstützt auch durch das Auftreten einer unüberschaubaren Vielzahl neuer Akteure.

Erst die Möglichkeit, Daten in großem Umfang zu sammeln und auszuwerten, ermöglichte es, die Interessen einzelner Menschen gezielt zu ermitteln und diese gewonnenen Kenntnisse entsprechend zu nutzen. Die Informationsbeschaffung im Internet funktioniert lediglich für die Menschen gut, die sich kritisch mit den Quellen auseinandersetzen können und dafür auch die notwendige Zeit aufwenden.

Wie reagieren Internetnutzer auf Fake-News?

In einer forsa Online-Umfrage mit 1011 befragten Internetnutzern ab einem Alter von 14 Jahren gaben 59% an, im Internet bereits Fake News entdeckt zu haben. Diese fanden sich auf Webseiten, in Blogs, sozialen Netzwerken und Internetforen. Die Identifizierung von Fake News gelang den Befragten durch gezielte Überprüfung der Quellen oder durch Hinweise Dritter. Als Gefahr für die Demokratie werden Fake News von 61% der Befragten gesehen, 80% sehen die Notwendigkeit für neue Gesetze, um soziale Netzwerke schneller zur Löschung von Fake News bewegen zu können. Ein interessanter Aspekt der Umfrage ist, dass jüngere Befragte zwischen 14 und 24 Jahren häufiger Nachrichten auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen als die älteren Teilnehmer.

Ansätze zur Auseinandersetzung mit der Macht der sozialen Netzwerke

Die Politik sucht nach Wegen, mit der Macht der Konzerne umzugehen und sie zu kontrollieren. Die Algorithmen, die verwendet werden, um Werbung und Nachrichten zu personalisieren, werden von Facebook und anderen Netzwerken geheim gehalten. Um diese Macht kontrollieren zu können, sollen Internet-Konzerne in Zukunft reguliert werden, indem sie ihre Algorithmen den staatlichen Organen übergeben müssen. Bundesjusitzminister Heiko Maas bezeichnet dies als notwendigen Schritt „Zur Kontrolle der Transparenz“.

Doch nicht nur mit Gesetzen wird versucht, der Macht der Internetkonzerne und ihrer Algorithmen zu begegnen: Das Crowdsourcing-Forschungsprojekt AlgorithmWatch startet eine Analyse von Google-Suchergebnissen und bittet dafür Internetnutzer um eine „Datenspende“. Über ein Plug-in für gängige Browser werden automatisch alle vier Stunden Suchanfragen mit den Namen von PolitikerInnen und Parteien geschickt. Über eine Analyse der Ergebnisse zu den Anfragen soll erkennbar werden, inwiefern Suchergebnisse personalisiert werden. AlgorithmWatch führt diese Untersuchung als Kooperation mit den Landesmedienanstalten einiger Bundesländer und der TU Kaiserslautern durch.

Implikationen für die Bildung

Nach Schweigers Ansicht sollten die Schulen dazu anregen, Medien außerhalb ihres politischen Interessenbereichs zu beachten und auch auf nicht-personalisierte Angebote zurückzugreifen. Ebenso sieht er die Notwendigkeit, den Umgang mit den eigenen Daten zu thematisieren und ein „Medien- und Infotraining“ in den Schulen zu ermöglichen. Hierfür müsste die Ausstattung der Schulen mit hohem finanziellem Aufwand verbessert werden, was zum Beispiel durch den Digitalpakt#D ermöglicht werden soll. Dieser stellt für entsprechende Ausstattung fünf Milliarden Euro in Aussicht.

Ein Professor für Mediengestaltung und Medientheorie an der Hochschule Offenburg, Ralf Lankau, kritisiert diesen Ansatz gemeinsam mit weiteren Wissenschaftlern in einem Interview. Diese Kritik wurde in einem offenen Brief an die Kultusminister geäußert. Bestätigt wird er in seinen Ansichten auch durch entsprechende Studien (S. 78). Um die Fähigkeit zur Meinungsbildung zu vermitteln, sollte die Anbahnung von Medienkompetenz und einer äußerst kritischen Auseinandersetzung mit allen Medien eine der obersten Prioritäten in der Schulbildung sein, denn diese Fähigkeit ist sowohl in Printmedien, dem Fernsehen als auch Online hilfreich. 

Literatur

Schweiger, Wolfgang (2017). Der (des)informierte Bürger im Netz. Online verfügbar: https://link.springer.com/book/10.1007%2F978-3-658-16058-6 [geprüft am 09.07.2017]

Elektronische Medien

Boenke, Welt (2012): Bezahlte Demonstranten – Miete deinen Wutbürger. Online verfügbar: https://www.welt.de/politik/deutschland/article108748826/Bezahlte-Demonstranten-Miete-Deinen-Wutbuerger.html [geprüft am 09.07.2017]

Collins, Ben, The Daily Beast (2016): Hillary PAC Spends $1 Million to ‘Correct’ Commenters on Reddit and Facebook (Comment). Online verfügbar: http://www.thedailybeast.com/hillary-pac-spends-dollar1-million-to-correct-commenters-on-reddit-and-facebook [geprüft am 09.07.2017]

Das Erste: Aufgabe und Funktion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks/der ARD

Debenedetti, Gabriel, Politico (2017): Brock groups set $40 million budget to fight Trump. Online verfügbar: http://www.politico.com/story/2017/01/david-brock-fundraising-trump-233974 [geprüft am 09.07.2017]

Deutschlandfunk: Social Bots – Wahlkampf der Algorithmen. Online verfügbar: http://www.deutschlandfunk.de/social-bots-wahlkampf-der-algorithmen.740.de.html?dram:article_id=376345 [geprüft am 09.07.2017]

Democracy Matters (2016): Strategic Plan for Action. Online verfügbar: https://de.scribd.com/document/337535680/Full-David-Brock-Confidential-Memo-On-Fighting-Trump#from_embed [geprüft am 09.07.2017]

Die Wochenzeitung (2006): Die Meistermanipulatoren. Online verfügbar: https://www.woz.ch/-af6 [geprüft am 09.07.2017]

Engelbrecht, Telepolis (2017): Technologie in unseren Schulen schadet mehr, als sie nützt. Online verfügbar: https://www.heise.de/tp/features/Technologie-in-unseren-Schulen-schadet-mehr-als-sie-nuetzt-3766725.html [geprüft am 09.07.2017]

Forsa (2017): Online-Umfrage zu Fake News, Ergebnisbericht. Online verfügbar: http://www.lfm-nrw.de/fileadmin/user_upload/Ergebnisbericht_Fake_News.pdf [geprüft am 09.07.2017]

Klöckner, Marcus, Telepolis (2017): Es handelt sich um Missbrauch der Deutungshoheit. Online verfügbar: https://www.heise.de/tp/features/Es-handelt-sich-um-Missbrauch-der-Deutungshoheit-3741117.html [geprüft am 09.07.2017]

Lankau (2017): DigitalPakt Schule der Kultusminister: Irrweg der Bildungspolitik. Online verfügbar: http://www.aufwach-s-en.de/2017/06/ob_kmk_irrweg-der-bildungspolitik/ [geprüft am 09.07.2017]

Lischka, Reißmann, Spiegel (2011): Kampagne gegen Google Facebook schlittert ins PR-Desaster. Online verfügbar: http://www.spiegel.de/netzwelt/web/kampagne-gegen-google-facebook-schlittert-ins-pr-desaster-a-762287.html [geprüft am 09.07.2017]

Lobbypedia (o.J.): Burson Marsteller. Online verfügbar: https://lobbypedia.de/wiki/Burson-Marsteller [geprüft am 09.07.2017]

New York Times (2016). Inside Hillary Clinton’s Outrage Machine, Allies Push the Buttons. Online verfügbar: https://www.nytimes.com/2016/09/23/us/politics/hillary-clinton-media-david-brock.html [geprüft am 09.07.2017]

Nowak, Telepolis (2017): Wenn die journalistische Norm der brave Bürger ist. Online verfügbar: https://www.heise.de/tp/features/Wenn-die-journalistische-Norm-der-brave-Buerger-ist-3766565.html [geprüft am 09.07.2017]

Reinbold, Spiegel (2017): Regulierung der Internet-Konzerne Jetzt will Maas an die Algorithmen. Online verfügbar: http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/heiko-maas-will-regulierung-von-internet-konzernen-mit-algorithmen-a-1155570.html [geprüft am 09.07.2017]

Revesz, Independent (2016): Survey finds Hillary Clinton has ‘more than 99% chance’ of winning election over Donald Trump. Online verfügbar: http://www.independent.co.uk/news/world/americas/sam-wang-princeton-election-consortium-poll-hillary-clinton-donald-trump-victory-a7399671.html [geprüft am 09.07.2017]

Spiegel (2017): Aufruf zur "Datenspende" Googeln für die Wissenschaft. Online verfügbar: http://www.spiegel.de/netzwelt/web/datenspende-forschungsprojekt-ueber-google-sucht-freiwillige-helfer-a-1156060.html [geprüft am 09.07.2017]

VBW Bayern (2017): Bildung 2030 – veränderte Welt. Fragen an die Bildungspolitik. Gutachten. Online verfügbar: https://www.vbw-bayern.de/Redaktion/Frei-zugaengliche-Medien/Abteilungen-GS/Bildung/2017/Downloads/ARB_Gutachten_gesamt_16.05.2017.pdf geprüft am 09.07.2017]

Welchering, Peter (2017): Digitales politisches Direktmarketing. Online verfügbar: https://www.slideshare.net/welchering/dgitales-politisches-direktmarketing [geprüft am 09.07.2017]

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